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Zeitreise: Dark City (1998)

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Im zweiten Teil unserer kleinen Artikelserie Cineastische Zeitreise, setzen wir das einmal angerissene Noir-Thema des Auftaktbeitrages fort. Alex Proyas’ Dark City (1998) war kommerziell zwar keine Erfolgsgeschichte, hat aber mittlerweile einen beachtlichen Kultstatus unter Science Fiction Fans erlangt. Carl Freedman ging sogar soweit ihn als die bislang gelungenste Synthese von SF und Noir der bisherigen Kinogeschichte zu bezeichnen.1 Obwohl man diesem etwas überschwänglichem Urteil nicht unbedingt folgen muss und sich durchaus auch einige Schwachstellen im Film finden, lohnt ein genauerer Blick auf ihn allemal.

 

Der Film beginnt als ein sichtlich verwirrter John Murdoch (Rufus Sewell) in der Badewanne eines schäbig wirkenden Hotelzimmers erwacht und ängstigenderweise feststellen muss, dass er keine Erinnerungen mehr besitzt. Kurz darauf erhält er einen Anruf des mysteriösen Psychotherapeuten Dr. Daniel Schreber,2 der ihm mitteilt, dass er das Hotel dringend verlassen müsse, da er von einer Gruppe gefährlicher Männer verfolgt werde, die in wenigen Minuten bei ihm seien. Anschließend findet Murdoch nicht nur ein blutiges Messer auf dem Tisch, sondern auch die Leiche einer ermordeten Frau auf dem Boden, deren Körper in einer Art grausamem Ritual mit spiralförmigen Symbolen verunstaltet wurde. Entsetzt flieht er aus dem Gebäude, bevor er seinen Missetätern in die Hände fällt. Als es Murdoch schließlich im Zuge einer zufälligen Begebenheit gelingt seinen Namen in Erfahrung bringen, wird er allerdings sogleich mit der Erkenntnis konfrontiert, dass sie furchteinflößenden Männer mit den bleichen Gesichtern und den dunklen Mänteln (Im Film nur “The Strangers” genannt) nicht die einzigen sind, die seine Spur aufgenommen haben. Augenscheinlich ist er der Hauptverdächtige einer Serie von brutalen Morden an Prostituierten, weshalb von Seiten des unnachgiebigen Polizeiinspektors Frank Bumstead (William Hurt) gegen ihn ermittelt wird.

Der Film folgt Murdoch, der sich fortan allein und auf der Suche nach seiner eigenen Identität durch die verwinkelten und labyrinthartigen Straßenzüge der namenlosen Stadt schlägt, wobei sich ihm surreale und bizarre Schauspiele darbieten. Das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben offenbart sich ihm als gemeiner Trug, als verlogener Schein eines unsäglichen Experiments auf Kosten der unwissenden Stadtbewohner_innen. Murdoch erfährt gemeinsam mit Bumstead und dem sich als aufmüpfig gewordenen Kollaborateur entpuppenden Schreber, dass es sich bei der dunklen Stadt tatsächlich um die künstlich geschaffene Umgebung eines Raumschiffs im All handelt, das den mysteriösen Fremden als groteskes Versuchslabor dient.  Vom Aussterben bedroht, vermuten sie den Schlüssel zu ihrer Rettung in der ihnen rätselhaften menschlichen Individualität, der sie bisher nicht auf die Schliche kommen konnten. Da sie die Fähigkeit besitzen, die Stadt ganz nach ihrem Belieben, durch die bloße Kraft ihrer Gedanken zu verändern und umzuformen, platzieren sie ihre Versuchskaninchen in jeder erdenklichen sozialen Situation, solange sie ihnen beobachtens- und erforschenswert erscheint. Unter Mithilfe Dr. Schrebers versetzen sie die Menschen schließlich nach jedem mehrstündigen Untersuchungszyklus in einen komatösen Schlafzustand, währenddem sie ihnen mittels einer injizierten chemischen Lösung neue Erinnerungen an ein niemals gelebtes Leben und eine frische Persönlichkeit verabreichen. Alles was sie im vorherigen Zyklus waren oder dachten, wird bei  dabei restlos ausgelöscht. Murdoch, dessen Körper sich dieser Prozedur auf geheimnisvolle Weise entzieht wird gezwungenermaßen Zeuge dieses kafkaesken Spektakels. Zum Sonnenaufgang kommt es unterdessen nie, da die Außerirdischen das Licht nicht ertragen können. Die Menschen sind in der Spanne einer einzigen Nacht gefangen, unwissend, dass sie nie einen tatsächlichen Tag durchlebt haben.

Einer der herausragendsten Aspekte , die die Entfaltung dieses bedrohlichen Arrangements begleiten, ist dabei zweifelsohne die gelungene Inszenierung des düsteren Settings. Die Figuren irren durch finstere Häuserschluchten und schmale Seitengassen, die von den tiefen Schatten des urbanen Wirrwars verschlungen werden. Die kontrastreiche Ausleuchtung und die exaltierten Kameraperspektiven verweisen ebenso wie die eindrucksvollen Kulissen (gewölbte Korridore, verschlungene Treppen und dergleichen mehr) auf die prägenden Einflüsse des klassischen Film Noir, wie auch des deutschen Expressionismus.4 In bester Tradition der beiden Genres erschafft Proyas eine bedrückende und chaotische Welt, in welcher die in sie eingezwängten Charaktere nach dem Sinn und der Bedeutung ihres Daseins suchen. Diese stilistische Ausgestaltung des Films setzt sich auch hinsichtlich der noir-orientierten Retroästhetik weiter fort. Fahrzeuge aus der Mitte des 2o. Jahrhunderts, ranzige Hotelzimmer und verrauchte Nachtclubs erinnern sofort an Klassiker, wie Orson Welles’ Citizen Kane oder John Hustons The Maltese Falcon (beide 1941). Doch obwohl diese Anlehnungen an das Kino der 40er Jahre sehr zahlreich sind, wird Dark City nicht einfach zu dem, was Fredric Jameson 1988 in einem seiner Essays einmal als “Nostalgia Film” bezeichnete. Die systematisch aufeinander bezogenen Versatzstücke des Film Noir bzw. der mit ihm verbundenen historischen Epoche bilden keine nostalgische Phantasmagorie, keine verklärende Traumwelt, die vor den leuchtenden Augen des Betrachters in romantischer Idylle wiedererstrahlt. Indem sich die Stadt als räumlicher Schein eines verborgenen Herrschaftsverhältnisses offenbart, nimmt ihre Ästhetik vielmehr den Ausdruck eines gesellschaftliches Regresses an, dessen Erkenntnis zu seiner Überwindung drängen muss.

Am besten verdeutlicht sich dies vielleicht am Beispiel des bildlichen Gegenstücks zur dunklen Stadt – dem pittoresken Küstenort Shell Beach. Diese kleine Oase des Glücks ist den Stadtbewohner_innen wohlbekannt und im urbanen Alltag jederzeit präsent. Nicht nur finden sich an jeder Straßenecke Werbeplakate oder Postkarten, die für einen dortigen Strandurlaub werben – es gibt auch kaum jemanden, der keine Erinnerungen an erholsame Wochenendausflüge oder sonnige Sommerwochen besitzt, die er dort verbracht zu haben meint. Ein Taxifahrer berichtet Murdoch beispielsweise in glücklichem Rückblick von seinen romantischen Flitterwochen am Meer. Doch obwohl er den Weg nach Shell Beach natürlich bestens zu kennen glaubt, muss er eingestehen, dass ihn auf konkretes Nachfragen hin, nicht wiedergeben kann. Murdoch entdeckt, dass es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt. Niemand kann sich an den genauen Weg erinnert und obwohl der Ort auf der U-Bahn-Karte verzeichnet ist, stellt es sich als unmöglich heraus, auch einen Zug zu finden, der dorthin fährt. Als Murdoch, Bumstead und Schreber am Ende allen Hindernissen zum Trotz tatsächlich den Weg aus der Stadt heraus finden, endet dieser unvermittelt vor einer kargen Wand in einem dunklen Korridor, an der, wie zum Hohn, ein verblichenes Strandplakat prangt und hinter der sich nichts als die einsame Unendlichkeit des Alls befindet. Der paradiesische Urlaubsort erweist sich als noch unwirklicher als die Stadt selbst, da allein seine Existenz eine Lüge ist.

Shell Beach entspricht hierbei nicht grundlos in jeder Hinsicht der Vorstellung eines klassischen amerikanischen Erholungsresorts aus den 50er Jahren. Eine malerische Bucht über der sich ein weißer Leuchtturm auf einer felsigen Anhöhe im Meer erhebt, kleine Segelboote inmitten der sanften Wellen des Wassers und, je nach Postkarte oder Plakat, eine (selbstverständlich weiße) lächelnde Frau  mit Sommerhut und Wasserball. Bilder von glücklichen Familien und spielenden Kindern am Strand stellen sich wie von alleine ein und finden sich in den vermeintlichen Kindheitserinnerungen Murdochs wieder, die er im Gespräch mit seinem Onkel zu Tage fördern kann. Die kleine Küstenstadt entspricht aufs Detail genau der konservativen Wunschvorstellung einer harmonischen und widerspruchsfreien Gesellschaft, die hier eine perfekte Projektionsfläche findet. Shell Beach kann als solche gerade nicht die utopische Wirkung entfalten, an deren Hoffnung sich Murdoch auf seiner Suche nach dem Weg zum Meer noch zu klammern scheint. Ihr bildhafter Schein ist das Komplement des bestehenden Falschen und nicht seine Negation, ist nicht der Ausweg aus der Krise, sondern bestenfalls eine Streicheleinheit für die überforderten Subjekte. Carl Freedman weist ganz zu Recht darauf hin, dass der Strand, den Murdoch am Ende des Films selbst aus dem Nichts entstehen lässt und den er ironisch als “Shell Beach” benennt, sich gerade nicht die ästhetischen Eigenschaften der eben beschriebenen Postkartenromantik zu eigen macht. Der warme, sonnige Kontrast zum vorangegangenen Rest des Films wird nur in wenigen Bildern angedeutet und bleibt notwendigerweise vage. Er verweist auf einen Neuanfang, der nicht vorweg bestimmt werden kann.

 

 

 

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1 Carl Freedman. “Marxism, Cinema and some Dialectics of Science Fiction and Film Noir”, in Mark Bould/China Miéville. Red Planets. Marxism and Science Fiction, Pluto Press, 2009 | Auf diesen Essay wurde hier auch schon in Bezug auf Jean-Luc Godards Alphaville rekurriert.

2 Der Name der Figur ist ein direkter Verweis auf den deutschen Juristen Daniel Paul Schreber, der durch seine 1903 verfasste Schrift Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken zu einiger Berühmtheit gelangte. Unter massiven Psychosen (insb. Paranoia) leidend, fertigte er dort eine detaillierte Beschreibung seiner Erkrankung an. Verschiedene namhafte Psychoanalytiker haben sich seither intensiv mit dem Text und mit Schrebers Fallgeschichte im Allgemeinen auseinandergesetzt (u.a. Sigmund Freud und William G. Niederland).

3 Die eindrucksvollen Bilder der Stadt erinnern bisweilen an Fritz Langs Metropolis (1927), während die Inszenierung der Antagonisten streckenweise Szenen aus Murnaus Nosferatu (1927) ins Gedächtnis ruft.

4 Fredric Jameson. “Postmodernism and Consumer Society”, in: Fredric Jameson. The Cultural Turn. Selected Writings on the Postmodern 1983-1998, Verso, NYC, 1998 | Mit dem Begriff des “Nostalgia Film” bezeichnet Jameson eine Tendenz des Kinos der 70er und 80er Jahre, in Ermangelung der Fähigkeit neue künstlerische Akzente zu setzen, einfach jene Dinge nachzuahmen, die bereits in den 30er bis 50er Jahren schon gemacht wurden. Jameson wertete diesen Modus der spätkapitalistischen Kulturproduktion als “pathologisches Symptom” einer Gesellschaft, die im Begriff ist das Vermögen zum Umgang mit Zeit und Geschichte zu verlieren: “It seems to me exceedingly symptomatic to find the very style of nostalgia films invading and colonizing even those movies today which have contemporary settings, as though, for some reason, we were unable today to focus our own present, as though we had become incapable of achieving aesthetic representations of our own current experience.”



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